Freitag, 19. August 2011

Wildpfade

Halte nicht ein bei der Schmerzgrenze
halte nicht ein
gehe ein Wort weiter
einen Atemzug
noch ueber dich hinaus.

Marie Luise Kaschnitz

Morgens um 7.30 starten arDaga, Isabella, Peter und ich, ausgeruestet mit genuegend Wasser, Sonnenhueten und reichlich Bananen, unsere Buschtour. Der Wetter-Oxum scheint uns gnaedig gestimmt zu sein, noch ist der Himmel bedeckt. Allerdings prophezeit uns arDaga, dass sich die Bewoelkung verziehen wird, er soll recht behalten und trotz einer Hoehe von ueber 1000 Metern wird es unertraeglich heiss werden. Doch noch gehen wir in der Kuehle, zuerst durch das noch stille Dorf, zum Fluss hinunter und dann entlang des Wassers unter dem Blaetterdach der hohen Baeume auf einem breiten Pfad. An einem Gatter verlassen wir die Zivilisation, hier beginnt das Naturschutxgebiet der Chapada. Der Pfad wird schmaler, wir gewinnen langsam an Hoehe umgehen kleine Felsen und hohe Farne. Nach ca. 1/2 Stunde Wegstrecke gerlangen wir an einen mitten im Wald gerodeteten Platz, mit einem in traditioneller Lehmbauweise gebauten kleinen, windschiefen Huettchen. ArDaga erklaert uns, dass es von irgendwelchen Leuten aus dem Dorf gebaut wurde, jeder weiss von wem, keiner wird etwas sagen. In der abgeschlossenen Gesellschaft dieser abgelegenen Doerfer, gilt jeder, der etwas verraet als Nestbeschmutzer und muss mit entsprechenden Konsequenzen rechnen. Die Naturschutzauflagen werden immer wieder missachtet, das liegt zum einen daran, dass die Vaeter und Vorvaeter das Gebiet schon genutzt haben, andererseits daran, dass die von der Regierung versprochenen Ausgleichszahlungen ausblieben und sie trotz des Verbots die Ertraege zum Ueberleben brauchen.

Bald ueberqueren wir den zum Bach gewordenen Fluss, ein Kolibri fliegt emsig von Bluete zu Bluete, vor uns oeffnet sich der Wald zu einer Furt zwischen den Bergen und gibt den Blick frei auf das naechste Tal und das darin liegende Buschgebiet, das wir durchqueren muessen. ArDaga hatte einen Pfad vorgearbeitet und dennoch, manchmal ist die ca. 5 m vor mir gehende Isabella nicht mehr zu sehen. Schlingpflanzen legen sich um die Fuesse und die Dornenranken halten uns an unserer Kleidung fest, jeder Schritt ist ein sich vorwaerts kaempfen in einer unueberschaubaren Landschaft. Die eineinhalb Stunden dehnen sich zur Ewigkeit und als wir aus der Buschzone heraus sind bin ich so erschoepft, dass die Kraft nicht mehr bis zum nahen Wald reicht ich brauche eine Pause im Schatten eines einzelnen verkrueppelten Gestraeuchs, die Sonne brennt erbarmungslos.

Auf unserer Wanderung entlang in einer neuen Furt hinauf zum Bergeinschnitt gilt es einen Bach zu ueberqueren, mit arDagas Hilfe und Klimmzuegen kommen wir auf einem Felsen auf der gegenueberliegenden Seite an.


Von nun an belgeiten scharfkantige Graeser und niederes Gestruepp unseren Weg. Das Gehen ist leichter als durch den Busch, doch die Graeser ritzen unbarmherzig die blossliegende Haut auf. Ich muss unwillkuerlich an die Menschen denken, die sich ritzen um sich noch zu spueren. Ich befinde mich in einer Lethargie, in der dieses Ritzen sich belebend anfuehlt. Spaeter werde ich arDaga sagen, dass ich mich in die Situation des Gebaerens zurueck versetzt gefuehlt habe. Weiter, weiter, es gibt kein Stehenbleiben, kein Aufgeben, es ist die Situation, die nur noch das Durchkaempfen zulaesst. Ich gehe ueber meine Grenzen und arDaga ist ein guter Begleiter dabei, er fordert bis zum Aeussersten, aber nicht darueber hinaus. Rast an einem kleinen Gebirgsbach, klares, frisches, trinkbares  Wasser, sich ins Nass legen herrlich. Nun liegt "nur noch" die Uebrquerung einer Huegelplatte und der Abstieg ins Dorf vor uns. Mit Nachlassen der Erschoepfung spuere ich auch wieder die schmerzhaften Schnitte an den Beinen, versuch den scharfen Graesern auszuweichen, was allerdings kaum moeglich ist.
Der Empfang im Dorf ist ein Traum, dazu aber spaeter....

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