Freitag, 19. August 2011

Wildpfade

Halte nicht ein bei der Schmerzgrenze
halte nicht ein
gehe ein Wort weiter
einen Atemzug
noch ueber dich hinaus.

Marie Luise Kaschnitz

Morgens um 7.30 starten arDaga, Isabella, Peter und ich, ausgeruestet mit genuegend Wasser, Sonnenhueten und reichlich Bananen, unsere Buschtour. Der Wetter-Oxum scheint uns gnaedig gestimmt zu sein, noch ist der Himmel bedeckt. Allerdings prophezeit uns arDaga, dass sich die Bewoelkung verziehen wird, er soll recht behalten und trotz einer Hoehe von ueber 1000 Metern wird es unertraeglich heiss werden. Doch noch gehen wir in der Kuehle, zuerst durch das noch stille Dorf, zum Fluss hinunter und dann entlang des Wassers unter dem Blaetterdach der hohen Baeume auf einem breiten Pfad. An einem Gatter verlassen wir die Zivilisation, hier beginnt das Naturschutxgebiet der Chapada. Der Pfad wird schmaler, wir gewinnen langsam an Hoehe umgehen kleine Felsen und hohe Farne. Nach ca. 1/2 Stunde Wegstrecke gerlangen wir an einen mitten im Wald gerodeteten Platz, mit einem in traditioneller Lehmbauweise gebauten kleinen, windschiefen Huettchen. ArDaga erklaert uns, dass es von irgendwelchen Leuten aus dem Dorf gebaut wurde, jeder weiss von wem, keiner wird etwas sagen. In der abgeschlossenen Gesellschaft dieser abgelegenen Doerfer, gilt jeder, der etwas verraet als Nestbeschmutzer und muss mit entsprechenden Konsequenzen rechnen. Die Naturschutzauflagen werden immer wieder missachtet, das liegt zum einen daran, dass die Vaeter und Vorvaeter das Gebiet schon genutzt haben, andererseits daran, dass die von der Regierung versprochenen Ausgleichszahlungen ausblieben und sie trotz des Verbots die Ertraege zum Ueberleben brauchen.

Bald ueberqueren wir den zum Bach gewordenen Fluss, ein Kolibri fliegt emsig von Bluete zu Bluete, vor uns oeffnet sich der Wald zu einer Furt zwischen den Bergen und gibt den Blick frei auf das naechste Tal und das darin liegende Buschgebiet, das wir durchqueren muessen. ArDaga hatte einen Pfad vorgearbeitet und dennoch, manchmal ist die ca. 5 m vor mir gehende Isabella nicht mehr zu sehen. Schlingpflanzen legen sich um die Fuesse und die Dornenranken halten uns an unserer Kleidung fest, jeder Schritt ist ein sich vorwaerts kaempfen in einer unueberschaubaren Landschaft. Die eineinhalb Stunden dehnen sich zur Ewigkeit und als wir aus der Buschzone heraus sind bin ich so erschoepft, dass die Kraft nicht mehr bis zum nahen Wald reicht ich brauche eine Pause im Schatten eines einzelnen verkrueppelten Gestraeuchs, die Sonne brennt erbarmungslos.

Auf unserer Wanderung entlang in einer neuen Furt hinauf zum Bergeinschnitt gilt es einen Bach zu ueberqueren, mit arDagas Hilfe und Klimmzuegen kommen wir auf einem Felsen auf der gegenueberliegenden Seite an.


Von nun an belgeiten scharfkantige Graeser und niederes Gestruepp unseren Weg. Das Gehen ist leichter als durch den Busch, doch die Graeser ritzen unbarmherzig die blossliegende Haut auf. Ich muss unwillkuerlich an die Menschen denken, die sich ritzen um sich noch zu spueren. Ich befinde mich in einer Lethargie, in der dieses Ritzen sich belebend anfuehlt. Spaeter werde ich arDaga sagen, dass ich mich in die Situation des Gebaerens zurueck versetzt gefuehlt habe. Weiter, weiter, es gibt kein Stehenbleiben, kein Aufgeben, es ist die Situation, die nur noch das Durchkaempfen zulaesst. Ich gehe ueber meine Grenzen und arDaga ist ein guter Begleiter dabei, er fordert bis zum Aeussersten, aber nicht darueber hinaus. Rast an einem kleinen Gebirgsbach, klares, frisches, trinkbares  Wasser, sich ins Nass legen herrlich. Nun liegt "nur noch" die Uebrquerung einer Huegelplatte und der Abstieg ins Dorf vor uns. Mit Nachlassen der Erschoepfung spuere ich auch wieder die schmerzhaften Schnitte an den Beinen, versuch den scharfen Graesern auszuweichen, was allerdings kaum moeglich ist.
Der Empfang im Dorf ist ein Traum, dazu aber spaeter....

Rueckblende in die Chapada

arDaga erwartet unsbei unserer Ankunft in Campos de Sao João auf einer Mauer sitzend. Noch ist die Nacht nicht ueber uns herein gefallen, doch unsere Maegen sind auf das Abendmahl, das ein Baer nach dem Winterschlaf verspeisen wuerde eingestellt, so hatte es uns arDaga versprochen und so soll es auch sein. Die kleine Pousada von Joel und Jacira liegt in einem urspruenglichen, beschaulichen Bergbauerndoerfchen der Chapada. Wir sind hier schon mitten in die unglaubliche Tafelberglandschaft hineingetaucht. Der Empfang ist herzlich und arDaga hatte nicht uebertrieben, der Tisch auf der Terasse inmitten des exotischen Gartens ist ueber und ueber mit Schuesseln und Tellern bedeckt. Huehnchen, gebratene Bananen, Reis, ein Eintopf aus Wurst, Fleisch und braunen Bohnen, eine Schuessel mit einem leckeren Sojagericht und Omlette, extra fuer mich, geroesteter Manjok, Salat - und ein traumhaft kaltes Bier, wir sind gluecklich!!!

Nach dem die Baeuche gefuellt sind werden die naechsten Tage, in denen arDaga uns fuehren wird besprochen. Ein Eingewoehnungs-Spaziergang-Tag (immer aus arDaga-Sicht), eine Tageswanderung zum naechsten Dorf zeitweise durch den Busch, ein Wasserfalltag, ein Tag mit Hoehlenbesuch und entdecken authentischer Doerfer und Staedtchen. Zwei Naechte werden wir bei einer Grossfamilie im Ort, an den wir wandern werden verbringen. Er klaert uns ueber Gefahren auf und bespricht Verhaltensmassregeln:

"Ich gehe immer vorne, im Busch zwei Menschenlaengen Abstand, nur mit den Handruecken Gestraeuch zur Seite biegen, die Augen vor Dornenranken schuetzen. Ich habe immer die Augen auf den Weg gerichtet, aber sollte euch dennoch eine Schlange begegnen, ruhig bleiben, denn sie ist dann in einer grossen Stresssituation und greift euch aus Angst an. Es gibt hier Giftschlangen, deren Gift tödlich ist, doch sie sind aeusserst scheu, im Gegensatz zu den Hornissen. Die gefaehrlichsten und angriffslustigsten sind die grossen rot-schwarx gestreiften, wenn ihr denen begegnet, rennt... Gestern sah ich bei der Vorbereitung der Tour am Bach den Abdruck eines Jaguars, doch selbst bin noch keinem begegnet"

Herzlich willkommen in der Chapada Diamantina, wir haben Respekt!!!

 

Dienstag, 16. August 2011

Aus dem Krankenhaus wieder raus...

Ihr Lieben,
bevor es mit den vielen Eindruecken aus der Chapada Diamantina weitergeht, - ich komme ueberhaupt nicht hinterher mit dem Erzaehlen -, in "Echtzeit" eine besondere Begebenheit von heute, denn nicht jedem ist es vergoennt, ein brasilianisches Krankenhaus von innen zu sehen.

Ausser ganz wunderbaren Begegnungen und Erlebnissen in der Chapada brachten Isabella und ich uns eine Darmverstimmung mit, eigentlich nicht aussergwoehnlich und beunruhigend, sind unsere europaeischen Verdauungssystem auf hiesiges, sehr leckeres Essen nicht eingestellt. Nachdem dann aber die ganze Geschichte bei mir blutige Formen annahm, wurde mir doch etwas mulmig.

Also, mit Isabella und Taxi in ein privat-oeffentliches Krankenhaus. Das heisst am Empfang wirst du in zwei verschiedene Reihen eingereiht, die Selbstzahler in die einer Reihe und die anderen, die das Gesundheitssystem kostenlos in Anspruch nehmen in die andere. Wir reihten uns bei den Selbstzahlern ein, das geht naehmlich schneller, und ich wurde von Isabella als Patientin vorgestellt, denn sie schien schon ueber dem Berg zu sein. Waehrend unserer trotzdem noch notwendigen Wartezeit, bekam Isabella eine Kreislaufschwaeche und kollabierte fast. Ich also an den Schalter und versuche der Dame klar zu machen, dass Isabella kurz vor einer Ohnmacht ist. Waren es meine Englischkenntnisse, oder das Unvermoegen, sich vorstellen zu koennen, dass nun ploetzlich die Begleiterin zur Patientin wurde? Ich rase zum Wasserautomaten, versuche Isabella mit haetscheln und ansprechen im Hierseits zu halten und die Schalterdame auf uns aufmerksam zu machen. Die um uns Herumsitzenden werden nun aufmerksam, eine Frau holte Hilfe, ein Mann bewachte unsere Tasche und schwups die wups sind wir im Untersuchungsraum. Nee, nee, das war nicht huebsch von uns ausgedacht, das war ganz schoen aufregend.

Wir verbrachten dann den Tag gluecklich vereint in einem Ueberwachungsraum, gehorsam und geduldig die Infusion in unsere Venen rinnen lassend.Eine Aerztin erklaerte uns nach diversen Untersuchungen, dass wir eine Darmentzuendung haben. Danach wurden wir wieder in unsere Pousada entlassen. Nicht weiter besorgniserregend, wir trinken Kokoswasser, hueten das Bett und heute Abend gab es schon ein paar Loeffelchen Kartoffelsuppe....!

Bald gehts weiter mit den reichen Tagen in der Chapada. Vielleicht sollten wir jetzt einfach einmal bei unseren Erlebnissen entschleunigt werden wer weiss?


Montag, 15. August 2011

Ziehende Landschaft

Man muss weggehen koennen
und doch sein wie ein Baum:
als bliebe die Wurzel im Boden,
als zoege die Landschaft und wir staenden fest.
Man muss den Atem anhalten,
bis der Wind nachlaesst
und die fremde Luft um uns zu kreisen beginnt,
bis das Spiel von Licht und Schatten,
von Gruen und Blau,

die alten Muster zeigt
und wir zuhause sind,
wo es auch sei,
und niedersitzen koennen und uns anlehnen,
als sei es an das Grab
unserer Mutter.

Hilde Domin

Die kerzengerade an den Seiten mit roter Erde geraenderte, zunehmend mit Schlagloechern uebersaete Strasse, links von einer Huegelkette begleitet, zieht uns geradewegs mitten hinein in die Chapada Diamantina. Ab und zu ein in pastelligem Mint, Rose oder zartem Gelb getoentes Haeuschen, in der immer trockener und karger werdenden Landschaft. Als wir in die Berge eintauchen, - noch nicht die eigentliche Chapada, sie ist eine gruene Insel umgeben von trockenem Land, - erwartet uns Caatinga ¨"weisser Wald". Es sind scheinbar trockene, fahlweisse Gerippe von Baeumen und Straeuchern, die ihre fingerigen Aeste in den Himmel recken. Nur fuer kurze Zeit nach einem fruchtbaren Regen, legt sich die Caatinga ihr gruenes Gewand aus Blaettern um, bevor sie wieder in einen Dornroeschenschlaf versinkt bis zum naechsten Nass.



Ein neues unter den tausend Gesichtern Brasilien

Die Chapada Diamantina liegt hinter uns. Gestern flogen wir nach einer Zwischennacht in Salvador in aller Fruehe ins Minas Gerais und kamen nach Einbruch der Dunkelheit hier in Ouro Preto an. Eigentlich empfiehlt es sich, nachts nicht mehr mit dem Auto unterwegs zu sein, zu viele Schlagloecher und zu viele verrueckte Autofahrer, doch alles ging gut. Durch das Fenster ueber den Hinterhof schaue ich nun am frischen Morgen auf einen gruenen Huegel, geziert von einer Barockkirche. Ihre beiden Tuerme ragen in den blauen Himmel, dekoriert von einem feinen, zartweissen Wolkenschleier, die sanften Formen der dahinter auffliegenden Berge werden in warmen Farben in den Faltenwurf der tiefstehenden Morgensonne gelegt. Das Minas Gerais ist ein neues der tausend Gesichter Brasiliens.














Doch nochmals zurueck in die Chapada Diamantina.

Sonntag, 7. August 2011

Ein Feuerritt endet im Rattennest

Wir tauchen immer weiter in die Realitaeten Brasiliens ein. Alles kann nebeneinander exisiteren: Ultramodernde Hochhaeuser einer Weltmetropole neben Favelas, hungernde Kinder neben reich gedeckten Tischen, im Souvenirladen die Goetter des Candomble als Gipsfiguren neben den katholischen Heiligen, zu erstehen fuer ein paar Reals. Oder, morgens der Besuch beim Edelsteinhaendler, Schmuck im Wert von tausenden Reals auf der Hand (nee, nee, nix gekauft, das waere zu krass gewesen), nachmittags ein erstes Kennenlernen von Marina und ihren Kindern in ihrem Kinderheim, und kleine Kinderhaende in meiner Hand. Auch dort direkt neben der aermlichen Siedlung, weisse Hochhaeuser in weiten Parks, gesichert von hohen Mauern und Sicherheitsleuten.

Vergessen sie ihr Schubladendenken, empfahl uns Hans Boehnisch, sie werden in Brasilien nicht weit damit kommen, wie recht er hatte! Und doch - wir brauchen zuerst unsere bisherigen Erfahrungen und Einschaetzungen, um das Neue einordnen zu koennen und dadurch eine Einstellung dazu zu finden die eine erste Sicherheit vermittelt, aus der Vorstellungen und Ideen sich wieder veraendern und an die Realitaet anpassen. UND die Begegnungen in Brasilien locken aus diesen Sicherheitswuenschen heraus und fordern einen unverstellen, intuitiven Blick auf die Menschen und die Dinge die uns begegnen.



Der Besuch Marinas war ein besonderer Tag fuer uns und es gibt soviel zu erzaehlen, das von Innen kommt, dass ich heute abend nicht einfach so darueber plaudern kann. Morgen geht es schon weiter in die Chapada Diamantina und ich weiss nicht, wie es dort mit Moeglichkeiten und Zeit fuer Internet-Geschichten steht. Deshalb nun einfach ein paar Erzaehlungen der lustigen Art. Marina und die Kinder sind fuer ein herunterperlendes Dahinschreiben zu kostbar, sie muessen noch etwas warten.

Heute waren wir mit Gigi unterwegs, ich wuerde ihm gerne den Beinamen verwegen und ungestuem hinzu fuegen. Gigi ist Taxifahrer, knapp ueber 40, durchtrainiert und tollkuehn und hat eines der wenigen Taxis mit fuenf Sitzen. Nachdem er uns gestern schon zur Igreja Bonfin chauffiert hatte, in der es unendlich viele Zeugnisse eines guten Endes zu entdecken gibt, haben wir ihn heute gebucht, mit uns zur Schildkroeten-Schutystation nach Praja do Forte zu fahren, ca. 60 km von Salvador entfernt. Es ist im allgemeinen sicherer, mit dem Taxi als mit dem Bus zu fahren. Morgens konnten wir, fruehzeitig erwacht wunderbar aus Salvador herausfahren, kaum jemand von den Einheimischen war schon auf den Beinen. Die Schildkroeten-Aufzucht und vor allem das erste Bad im Meer, waren diese Fahrt wert. Interessant wurde allerdings die Rueckfahrt.
Zwei Grossveranstaltungen lagen an unserer Route durch die Stadtautobahn von Salvador: Ein Fussballspiel und ein Wettbewerb fuer die besten Audio-beschallten Fahrzeuge der Stadt. Es wurde wild auf dem linken Fahrbahnrand geparkt, Menschen liefen auf dem Gruenstreifen zwischen den Fahrbahnen, aus vier machten die Autofahrer kreativ und spontan sechs Fahrbahnen und mittendrin Gigi und wir. Er wechselte wild von rechts nach links aussen ohne je das Tempo zu verringern, ein Finger immer an der Hupe, den Ellbogen cool aus dem Fenster gelehnt, zeigte er, wie Autorennen in Wirklichkeit und nicht am Computer gefahren werden. Nach dem er die letzten Meter in den Schlagloch uebersaeten Straesschen der Altstadt fuer unser Gefuehl eher schwimmend als fahrend zurueck gelegt hatte, entliess er uns mit einem symphatischen, siegessicheren Laecheln Er hat uns ueberzeugt, morgen ist er schon wieder gebucht, und wenn es jemals darum geht mit einem Amphibienfahrzeug ueber den Atlantik in die alte Welt zu gelangen, wird er unsere erste Wahl sein. 

Salvador am Sonntagabend: unser Gaesschen lebt!!! Nach dem Feuerritt mit Gigi und dem Packen unserer sieben Sachen, beschliessen wir, noch einen Caipirinha als Absacker zu nehmen. Wir stuerzen uns also in das bunte Leben vor dem Haus, immer wieder auch vorsichtig die bunte Menschenmischung betrachtend, die die Gasse belebt. Wir wagen uns nicht bis zum Platz an der Barockkirche, die Stimmung ist ueberschaeumend nach dem augenscheinlichen Sieg der Salvadorianer. Ein Polizeiauto faehrt vorbei, die Gewehre aus dem Fenster hochgereckt, Siegespose oder Drohgebaerde? Wir wissen es nicht und so landen wir in der naechsten Kneipe, in der man uns einen Caipi bieten kann, dem Rattennest. Weisse Plastiktische, weisse Plastikstuehle, auf dem Boden ein schoenes Mosaik, ein Wirt, der alles gibt, auch seine groessten Glaeser, um uns einen guten Schlaftrunk zu servieren. Obrigada und tschau, auf ein anderes Mal, wir sind bettschwer und freuen uns auf morgen....

Freitag, 5. August 2011

Tag und Nacht im Pelourinho


Salvador bei Tag.
Wir wohnen im Stadtteil Saude, auf deutsch Gesundheit (oder auch Prost!), ein Ort, an dem früher die reichen Plantagenbesitzer ihre Sommerfrische verbrachten. Die Herrenhäuser auf den Plantagen waren eher zweckmäßig, doch hier wurde residiert. Im 17./18. Jahrhundert war Salvador die reichste Stadt der Welt, Zucker wurde mit Gold aufgewogen und so kam es, dass Salvador als Handelszentrum und zeitweise Hauptstadt Brasiliens zu einem Ort von außergewöhnlicher Schönheit kreiert wurde. Der Charme dieser verblassenden Pracht ist hier auf Schritt und Tritt zu entdecken.



Es ist nicht weit bis ins Pelourinho, an der ersten Barockkirche wenige Meter von der Poussada entfernt scharf links abbiegen, das überaus steile, kopfsteinbepflasterte Sträßchen hinunter, sich über die in brasilianischer Manier befahrenen Einbahnstraße retten (gar nicht so einfach, wie es sich anhören mag), auf der anderen Seite das steile Gässchen wieder bergangestiegen, befinden wir uns im berühmten Altstadtkern Salvadors. Noch sind die meisten Läden geschlossen, ein paar fliegende Händler befinden sich auf dem Largo do Pelourinho, die ersten Bahaianas in ihren weitausladenden weißen Trachten, die selbstgemachten Spezialitäten in Tücher eingeschlagen auf dem Kopf balancierend, schreiten vorbei an den in allen Pastellfarben getünchten Häusern. Sie wirken wie fleischgewordene breithüftige und runde Nanas der Nicki de St. Phalle. Der Ort erwacht und noch ahnt man erst die Klänge und die Farben, ohne sie schon in ihrer Fülle zu erleben. 

Obrigada - danke -ist das Wort, das wir am meisten gebrauchen, das sich am schnellsten aus dem fremdartigen Sprachgefüge herausschält und einprägt. Obrigada wird gesagt für eine Gefälligkeit, doch ebenso als abwehrendes Nein danke, und dazu haben wir jede Menge Gelegenheit. Neben den Bahaianas, den fliegenden Händlern mit ihrem Tand, begegnen uns alle paar Meter Wasserverkäufer und Kokoswasserverkäufer. Den frischen, gekühlten Saft der Kokosnuss zu trinken ist allerdings ein besonderes Vergnügen, denn die Temperaturen des brasilianischenWinters treiben uns schon jetzt am Morgen die Schweißperlen auf die Stirn.

Salvador bei Nacht
Der schon am Tag begangene Weg wirkt neu, genauso wie das frühe, warme Dunkel. Ein Zustand, den wir in Mitteleuropa, nördlich des Äquators so nicht kennen. Alles ist weicher gezeichnet, der elende Zustand von vielen Gebäuden wird in gnädigen Licht- und Schattenspielen verborgen. Hans Bönisch hatte uns ans Herz gelegt, nur den Hinweg zum Pelourinho zu Fuß zu gehen, den Rückweg nach 20 Uhr sollten wir unbedingt mit einem Taxi zurücklegen. Die dunklen Ecken werden gefährlich, wenn die Gassen unbelebter werden. Doch zuerst einmal genießen wir, die Blicke in die erleuchteten Fenster und Türen, die Mischung aus menschlichen Stimmen und rhythmischer, mitreisender Musik, ein Sammelsurium an Lebendigkeit und Leidenschaft. Wir tauchen ein in das Charisma der bahaianischen Lebensart.

Als Auftakt ein Caipirinha. Bahaianische Köstlichkeiten in der lauen Nacht, während wir das bunte Treiben vor uns beobachten, im  Hintergrund Gitarrenklänge und eine sanfte, melancholische Männerstimme. Viel mehr noch als am Tag fühlen wir uns hineingenommen in die fremde, aufregende Atmosphäre die uns umhüllt. Plötzlich tauchen zwei hungrige, große Augen auf, in einem kleinen Gesicht, über einem schmalen Körper der ganz verdreht vor uns steht, der Junge streckt uns bittend seine schmutzige Hand, die Finger wie zu Krallen krümmt, entgegen. Ich bin zutiefst erschüttert, und erstarrt in der unerwarteten Begegnung. Gedanken wirbeln durch meinen Kopf, keinen den ich richtig greifen könnte, weiß nicht, was ich tun soll. Darf ich diesem elenden kleinen Kerl etwas geben, soll ich ihn ignorieren. Erst als Isabella die Situation erkennt und ihn anspricht, löst sich der Bann. Sie lässt die Essensreste für ihn einpacken, kann  in ihrer Sprache für den Jungen eintreten, ihm für den Abend einen vollen Bauch verschaffen, vielleicht auch einige Züge aus der Klebstoffflasche, denn die Kellnerinnen vermuten, dass er das Essen gleich wieder versetzen wird um an seine Suchtstoffe zu kommen. Ist das wichtig? Sie konnte ihm in seinem kleinen, traurigen Abend einen kurzen Glücksmoment bescheren. Ich kann meine Tränen nicht zurückhalten.

Dies ist solch ein dunkles Bild, obwohl bei Tageslicht aufgenommen. Er hat sich auf den "Kirchplatz" verkrochen, weil er weiß, dass er dort in Ruhe gelassen wird....

Donnerstag, 4. August 2011

Pizza unterm Mangobaum...


...aus der offenen Tür zur Veranda Chorstimmen, laue Nachtluft, Sternenhimmel über dem Innenhof und kaltes Bier. Unsere ersten Eindrücke von Brasilien, nachdem uns Hans Bönisch vom Flughafen abgeholt und in der dicksten Rushhour durch die Megastrassen Salvadors zur Pousada manövriert hat. Für uns war es eine angenehme Fahrt mit interessanten Geprächsthemen über Kunst und Kultur, Wirtschaft, Sozialgefüge, erste Verhaltensmaßregeln, für ihn vermutlich weniger: nachdem er zwei Stunden auf uns gewartet hatte, musste er nun schleunigst zurück, um rechtzeitig zur Chorprobe zu kommen.

Bisher sind alles noch flüchtige Eindrücke, so als ob man ein Stück Stoff in die Hand nimmt, es zwischen Daumen und Zeigefinger reibt, leicht mit geschlossenen Augen, um seine Beschaffenheit zu erspüren. noch weiß ich nicht wie es sich am Körper anfühlen wird, kenne seine Farben nicht, habe noch nicht das Spiel zwischen Licht und Schatten im Faltenwurf beobachtet.

Mit dieser überdimensionalen Begrüßung wurden wir am Frankfurter Flughafen empfangen.

Nach einer kurzen, rasanten Beschleunigung am Frankfurter Flughafen geht es nun in die Entschleunigung. In Echtzeit passierte Folgendes: Frankfurt, es ist schon Boardingtime, wir stehen immer noch in der Schlange vor der Leibesvisitation, ich werde rausgeholt, meine Hüfte piepst, ich erkläre, dass sie Kunst ist, gottseidank gilt hier noch die deutsche Sprache. Als ich mich umsehe, finde ich keinen meiner kleinen Reisegesellschaft mehr. Ich sollte dieses Wort hier nicht gerade wiederholen, das mir durch den Kopf fährt, wer weiss, wer hier mitliest, es ist jedenfalls nicht das feinste und fängt mit Sch... an. Einfach nur vorwärts Richtung Zoll, mein Pass ist bei Frank, genauso die Flugreserierung, spätestens hier müssen sie doch bemerkt haben, dass sie mich verloren haben! Ich komme mir vor wie die Protagonistin bei Brot und Tulpen, keiner weit und breit, das Flugzeug wird nicht warten. Ich ärgere mich über die Unüberlegtheit der anderen, sie müssen doch wissen, dass ich vor der Zollschranke stehe und nicht durchkomme. In dieser Stimmung ist es ein Leichtes die etwas unmotivierte junge Zollbeamtin zur Mitarbeit zu zwingen, sie scheint zu erkennen, dass eine Verweigerung unübersehbare Folgen für sie haben könnte. Sie holt mir einen geduldigen, beruhigenden Zollengel, der mich zum Gate begleitet, dort erfahren wir, dass die Familie noch nicht eingecheckt hat, also zurück über die Zollhürde. Dort kommen mir die meinen entgegen, zwei Zöllner als Begleitschutz, Frank war wegen einer Metallschachtel mit unseren Uno-Karten im Handgepäck, gefilzt worden. Zuerst fliege ich in Franks Arme, dann in die des hilfreichen Zollengels. Mit besten Wünschen und dem augenzwinkernden Hinweis, mit der brasilianischen Polizei nicht einfach überall hin mitzugehen, werden wir verabschiedet. 
 



Entschleunigung auf brasilianisch heißt: zuerst entspanntes Abwarten im gelandeten Flieger, bis sich das Menschenkörperflugzeugverlassensknäul entwirrt hat,  mit der Folge, dass wir am Ende der Schlange zwei Stunden vor dem Einreiseschalter verbringen. In Zukunft gilt also: Ellbogen ausfahren, gegen etwaige, im Wege befindliche Schienbeine treten und sich an den Anfang der Schlange durchkämpfen. Denn erst mal am Einreiseschalter angelangt, ist zu erkennen, dass für die gesamten Fluggäste (die einheimischen durften zuerst...) drei BeamtInnen zuständig sind, die in  aller Gemütlichkeit die Personaldaten der einzelnen Fluggäste abarbeiten. Im Empfangsbereich erwartet uns das Empfangskomitee: Isabella,Waisenhaus-Marina und Hans Bönisch.