Parga 02.-05.10.2019
Fluchtpunkt Parga – absolut keine Notlösung!
Der
kleine Ort Parga ist ein wahres Bilderbuchdorf. Bis vor 40 Jahren noch ein
verträumtes Fischerdorf, hat der Tourismus Einzug gehalten. In der langgezogenen
Bucht unterhalb einer mittelalterlichen Burg, gibt es zahllose Geschäfte,
Restaurants und Ouzo-Bars, trotzdem hat der Ort seinen Charme nicht verloren.
Es zahlt sich aus, dass wir darauf verzichtet haben, ein Zimmer vorzubuchen. So
sitzen wir an der Promenade bei einer verspäteten Mahlzeit und fragen den
Kellner nach Übernachtungsmöglichkeiten. Er nennt uns Petros Penthouse. Wir
könnten ein Appartement bekommen, allerdings nur mit Blick in die Dunkelheit
der nächsten Gasse. Nein danke! Die nächsten zwei Tage sollen überaus
regnerisch werden, die Ödnis einer dunklen Mauerwand könnte uns in eine mittelschwere
Depression stürzen. Nebenan im Hotel Acrothea bekommen wir noch eines der
„Dachzimmer“– die Aussicht über das in
die Bucht geschmiegte Städtchen und die beiden kleinen nur wenige Meter
entfernten kleinen Inseln. Der endlose Traumblick übers Meer, bei
gutem Wetter bis zu den Inseln Paxos und Antipaxos, ist phänomenal. Er wird uns
helfen die Regenzeit zu überstehen. Im Laufe der Tage werden wir die Gewitter
am Himmel entlang jagen sehen und es wird uns nichts ausmachen, erneut Nächte
von unzähligen Blitzen erleuchtet und sintflutartige Regenmassen zu erleben.
Nekyomanteion
am Acheron
Dieser
Ort hat uns fasziniert, deshalb zitiere ich Einiges aus
DAS
NEKYOMANTEION AM ACHERON – SORIRIOS DAKARIS
„Am
Nordufer des Flusses Acheron im westlichen Epiros im Verwaltungsbezirk Preveza
lag in der Antike ein Totenorakel, ein Nekyomanteion. Diese heilige Stätte
gehörte Thesprotien, in dem die Thesproter siedelten, die sich als einer der
ersten griechischen Stämme um 2000 v.Ch. im Epiros niederließen und dort ein
großes Gebiet beherrschten.“… „Die Menschen der Antike hielten Erdspalten,
tiefe Schluchten und Höhlen für Eingänge in die Unterwelt, ins Reich der Toten.
Die Seelen sahen aus wie Schatten, wie schemenhafte Bilder der Verstorbenen. Da
sie von ihrer sterblichen Hülle befreit waren, hatten sie übermenschliche
Fähigkeiten und konnten die Zukunft voraussehen. Sie waren aber ihrer selbst
nicht bewußt, da sie weder Fleisch noch Blut, also kein Lebenselement mehr
hatten, und waren oft rachsüchtig, besonders die Seelen der Menschen, die jung
oder durch Gewalt gestorben und der Lebensfreude beraubt waren. Für die
Lebenden war die Begegnung mit den Toten nicht ohne Gefahr. Wenn jemand die
Toten um ein Orakel bitten wollte, musste er sich durch Fasten, Waschungen und
Beten seelisch und körperlich vorbereiten und die Seelen der Verstorbenen mit
Trankspenden günstig stimmen, mit Honig, Milch, Wein und Wasser und vor allem
dem Blut von Opfertieren. Durch den Genuß dieser Spenden erwachten in den
Seelen Bewußtsein, Wohlwollen und die Bereitschaft, die Zukunft vorauszusagen.“
Es
ist wenig, was wir im Reiseführer über diesen Ort gelesen haben, doch wir
nutzen eine Regenpause um zum Sumpf von Kalodiki zu fahren und nach
Mesopotamos, um das ca. 20 km von Parga entfernte Heiligtum zu besuchen. Es
liegt auf einer Anhöhe, vor einem fruchtbaren, von Wassergräben und Lachen
durchsetzen Schwemmland, an dessen Meeresrand die Stadt Ammoudia liegt. Es ist
das Delta des Acheron, des Flusses, über den nach volkstümlichem Glauben der
Fährmann Charon die Seelen der Toten zum Eingang des Hades brachte. Allerdings
nur, wenn sie zuvor ein Begräbnis erhalten hatten und ihre Überfahrt mit einer
Geldmünze unter der Zunge bezahlt worden war.
Wir
sind nahezu allein auf dem Ausgrabungsgelände. Ich bin überrascht, sollte es
jedoch nicht sein, als ich lese, dass hier Hades gemeinsam mit Persephone sein
Heiligtum hatte. Persephone, ist eine Fruchtbarkeitsgöttin wie ihre Mutter
Demeter, allerdings wuchs sie in ihrem Göttinnen-Dasein durch einen
Schicksalsschlag über die Mutter hinaus: der Gott Hades raubte sie und machte
sie zur Herrscherin der Unterwelt. Demeter war darüber untröstlich und ließ
alle Früchte und das Getreide vertrocknen. Durch ihre Macht erzwang sie bei
Zeus einen Vergleich: Persephone durfte von
nun an acht Monate des Jahres als Fruchtbarkeitsgöttin bei ihrer Mutter auf der
Erde sein und vier Monate war ihr Platz in der Unterwelt bei Hades. So wurde
sie im Mythos zu dem, was man später auch Hagsitzerin (Hexe) nannte, sie konnte
in beide Welten blicken.
Wir
gelangen zuerst im Nordgang zu den beiden Inkubationsräumen, in denen die
Besucher in kultischen Schlaf gelegt wurden und zum danebengelegenen Bad. Die
im Führer nun beschriebenen Räume und Rituale erinnern mich an das Asklepeieon
von Epidauros und mir scheint auch, als würde die neuntägige Novene und
anschließende Labyrinthbegehung der späteren Pilger in der Kathedrale von Chartres
an diese frühen Kulthandlungen anknüpfen.
„In dem undurchdringlichen Dunkel wurde der
Besucher seelisch und körperlich vorbereitet. Zu essen bekam er
Schweinefleisch, Saubohnen, Gerstenbrot und Meermuscheln, Speisen, die mit den
Toten und dem Totenmahl zusammenhingen. Trinken durfte er Milch, Honig und
Wasser. Außerdem unterzog er sich kultischen Reinigungs- und sonstigen
magischen Riten. Von dem Priester der in leitete hörte er Wundergeschichten, Gebete
und Zauberformeln, unverständliche Beschwörungen der unterirdischen Dämonen.
Durch Bäder im anschließenden Raum sollte er gereinigt und gegen die
gefährliche Begegnung mit den Geistern der Toten unverletzlich werden.
Bevor
er nun den Ostgang betrat, musste er auf einen Steinhaufen zu seiner Rechten
einen Stein werfen, um das Böse von sich abzuwenden. In einem großen Wasserkrug
links des dritten Tores wusch er sich die Hände, eine symbolische
Reinigungshandlung. Dann durfte er das Nordzimmer des Ostganges zur letzten
Phase der Vorbereitung betreten. Wie lange er darin verweilte, wissen wir
nicht. Sicher waren die Speisevorschriften jetzt strenger die magischen
Handlungen häufiger und die seelischen und körperlichen Belastungen größer. Die
innere Erregung wird sich in dieser völligen Abgeschiedenheit und Stille
ständig gesteigert haben.
Als
schließlich der Augenblick für die Begegnung mit den Toten gekommen war, betrat
der Besucher mit den vorgeschriebenen Opfergaben, von einem Priester geleitet,
den Ostgang. In einer der Opfergruben, die hier von den Ausgräbern mit
verkohlten Tierknochen aufgedeckt wurden, opferte der Besucher nun ein Schaf.
Darauf wurde er in das Labyrinth geleitet, einen mäanderförmigen Gang, der dem
Besucher den Eindruck vermittelte, er irre die dunklen, verschlungenen Wege des
Hades entlang. Das Labyrinth hatte drei Tore, ebenso viele wie die Unterwelt,
mit Eisenbeschlägen und großen Eisennägeln, von denen eine Menge in den
Ausgrabungen gefunden wurden.“ Im Mittelsaal wurde anscheinend das Gerstenmehl
dargebracht, „am dritten und letzten Tor, …. warf der Besucher noch einen
übelabwehrenden Stein und goß auf den Steinboden die Trankspenden für die
Götter der Unterwelt, Aidoneus oder Hades und Persephone, die in dem
unterirdischen Saal wohnten. Hatte der Besucher den Mittelsaal betreten, war er
an seinem Ziel angelangt.
Auf
dem Weg hierher rief der Priester, Lukian (Menippos 9ff) zufolge, ständig die
Seelen der Toten, ‚die nächtliche Hekate und die furchtbare
Persephone‘ an und flicht in seine Beschwörungen fremde, bedeutungslose und
vielsilbige Wörter ein. Der Mittelsaal war der Endpunkt des Weges, denn dies
war der Ort, an dem die Geister der Toten erschienen und mit dem Menschen, der
um ein Orakel bat, in Kontakt traten.
Allerdings
war in hellenistischer Zeit (356 – 30 v.Chr.) rationales Denken weit
verbreitet, und die Wissenschaften erfuhren einen starken Aufschwung. Der
Glaube an den Mythos und die Religion war erschüttert. Sicher hielten viele die
Erscheinung von Totengeistern für unmöglich. Lukian (Menippos 10f.) der im
2.Jh.n.Chr. lebte, verspottet dieses ganze Ritual: ´Und sogleich schwankte
alles und die Erde barst vom Beschwörungsgesang (des Priesters) und von Ferne
erscholl das Gebell des Kerberos, und alle Dinge waren ungeheuer trübe und
düster, da schon das meiste zu sehen war, der See und der Pyriphlegethon und
das Reich des Pluton´…“
DAS
NEKYOMANTEION AM ACHERON – SORIRIOS DAKARIS (Professor emeritus der
Universität Ioannina)
Nach
diesem Ausflug in die Unterwelt und zur beeindruckenden Sumpflandschaft samt
Jause im ländlichen Kafenion hält uns nichts mehr. Am nächsten Tag fahren wir
ca. 450 km weiter, an Preveza vorbei, über die Brücke von Rion, auf die
Peloponnes nach Palea Epidauros – unser Zuhause für die nächsten Monate!
Ankunft in Epidauros 05.10.2019