Samstag, 26. Oktober 2019

Parga und die Begegnung mit dem Hades


Parga 02.-05.10.2019

Fluchtpunkt Parga – absolut keine Notlösung!

Der kleine Ort Parga ist ein wahres Bilderbuchdorf. Bis vor 40 Jahren noch ein verträumtes Fischerdorf, hat der Tourismus Einzug gehalten. In der langgezogenen Bucht unterhalb einer mittelalterlichen Burg, gibt es zahllose Geschäfte, Restaurants und Ouzo-Bars, trotzdem hat der Ort seinen Charme nicht verloren. Es zahlt sich aus, dass wir darauf verzichtet haben, ein Zimmer vorzubuchen. So sitzen wir an der Promenade bei einer verspäteten Mahlzeit und fragen den Kellner nach Übernachtungsmöglichkeiten. Er nennt uns Petros Penthouse. Wir könnten ein Appartement bekommen, allerdings nur mit Blick in die Dunkelheit der nächsten Gasse. Nein danke! Die nächsten zwei Tage sollen überaus regnerisch werden, die Ödnis einer dunklen Mauerwand könnte uns in eine mittelschwere Depression stürzen. Nebenan im Hotel Acrothea bekommen wir noch eines der „Dachzimmer“–  die Aussicht über das in die Bucht geschmiegte Städtchen und die beiden kleinen nur wenige Meter entfernten kleinen Inseln. Der endlose Traumblick übers Meer, bei gutem Wetter bis zu den Inseln Paxos und Antipaxos, ist phänomenal. Er wird uns helfen die Regenzeit zu überstehen. Im Laufe der Tage werden wir die Gewitter am Himmel entlang jagen sehen und es wird uns nichts ausmachen, erneut Nächte von unzähligen Blitzen erleuchtet und sintflutartige Regenmassen zu erleben.




Nekyomanteion am Acheron
Dieser Ort hat uns fasziniert, deshalb zitiere ich Einiges aus
DAS NEKYOMANTEION AM ACHERON – SORIRIOS DAKARIS
„Am Nordufer des Flusses Acheron im westlichen Epiros im Verwaltungsbezirk Preveza lag in der Antike ein Totenorakel, ein Nekyomanteion. Diese heilige Stätte gehörte Thesprotien, in dem die Thesproter siedelten, die sich als einer der ersten griechischen Stämme um 2000 v.Ch. im Epiros niederließen und dort ein großes Gebiet beherrschten.“… „Die Menschen der Antike hielten Erdspalten, tiefe Schluchten und Höhlen für Eingänge in die Unterwelt, ins Reich der Toten. Die Seelen sahen aus wie Schatten, wie schemenhafte Bilder der Verstorbenen. Da sie von ihrer sterblichen Hülle befreit waren, hatten sie übermenschliche Fähigkeiten und konnten die Zukunft voraussehen. Sie waren aber ihrer selbst nicht bewußt, da sie weder Fleisch noch Blut, also kein Lebenselement mehr hatten, und waren oft rachsüchtig, besonders die Seelen der Menschen, die jung oder durch Gewalt gestorben und der Lebensfreude beraubt waren. Für die Lebenden war die Begegnung mit den Toten nicht ohne Gefahr. Wenn jemand die Toten um ein Orakel bitten wollte, musste er sich durch Fasten, Waschungen und Beten seelisch und körperlich vorbereiten und die Seelen der Verstorbenen mit Trankspenden günstig stimmen, mit Honig, Milch, Wein und Wasser und vor allem dem Blut von Opfertieren. Durch den Genuß dieser Spenden erwachten in den Seelen Bewußtsein, Wohlwollen und die Bereitschaft, die Zukunft vorauszusagen.“
Es ist wenig, was wir im Reiseführer über diesen Ort gelesen haben, doch wir nutzen eine Regenpause um zum Sumpf von Kalodiki zu fahren und nach Mesopotamos, um das ca. 20 km von Parga entfernte Heiligtum zu besuchen. Es liegt auf einer Anhöhe, vor einem fruchtbaren, von Wassergräben und Lachen durchsetzen Schwemmland, an dessen Meeresrand die Stadt Ammoudia liegt. Es ist das Delta des Acheron, des Flusses, über den nach volkstümlichem Glauben der Fährmann Charon die Seelen der Toten zum Eingang des Hades brachte. Allerdings nur, wenn sie zuvor ein Begräbnis erhalten hatten und ihre Überfahrt mit einer Geldmünze unter der Zunge bezahlt worden war.
Wir sind nahezu allein auf dem Ausgrabungsgelände. Ich bin überrascht, sollte es jedoch nicht sein, als ich lese, dass hier Hades gemeinsam mit Persephone sein Heiligtum hatte. Persephone, ist eine Fruchtbarkeitsgöttin wie ihre Mutter Demeter, allerdings wuchs sie in ihrem Göttinnen-Dasein durch einen Schicksalsschlag über die Mutter hinaus: der Gott Hades raubte sie und machte sie zur Herrscherin der Unterwelt. Demeter war darüber untröstlich und ließ alle Früchte und das Getreide vertrocknen. Durch ihre Macht erzwang sie bei Zeus einen Vergleich:  Persephone durfte von nun an acht Monate des Jahres als Fruchtbarkeitsgöttin bei ihrer Mutter auf der Erde sein und vier Monate war ihr Platz in der Unterwelt bei Hades. So wurde sie im Mythos zu dem, was man später auch Hagsitzerin (Hexe) nannte, sie konnte in beide Welten blicken.
Wir gelangen zuerst im Nordgang zu den beiden Inkubationsräumen, in denen die Besucher in kultischen Schlaf gelegt wurden und zum danebengelegenen Bad. Die im Führer nun beschriebenen Räume und Rituale erinnern mich an das Asklepeieon von Epidauros und mir scheint auch, als würde die neuntägige Novene und anschließende Labyrinthbegehung der späteren Pilger in der Kathedrale von Chartres an diese frühen Kulthandlungen anknüpfen. 




 „In dem undurchdringlichen Dunkel wurde der Besucher seelisch und körperlich vorbereitet. Zu essen bekam er Schweinefleisch, Saubohnen, Gerstenbrot und Meermuscheln, Speisen, die mit den Toten und dem Totenmahl zusammenhingen. Trinken durfte er Milch, Honig und Wasser. Außerdem unterzog er sich kultischen Reinigungs- und sonstigen magischen Riten. Von dem Priester der in leitete hörte er Wundergeschichten, Gebete und Zauberformeln, unverständliche Beschwörungen der unterirdischen Dämonen. Durch Bäder im anschließenden Raum sollte er gereinigt und gegen die gefährliche Begegnung mit den Geistern der Toten unverletzlich werden.
Bevor er nun den Ostgang betrat, musste er auf einen Steinhaufen zu seiner Rechten einen Stein werfen, um das Böse von sich abzuwenden. In einem großen Wasserkrug links des dritten Tores wusch er sich die Hände, eine symbolische Reinigungshandlung. Dann durfte er das Nordzimmer des Ostganges zur letzten Phase der Vorbereitung betreten. Wie lange er darin verweilte, wissen wir nicht. Sicher waren die Speisevorschriften jetzt strenger die magischen Handlungen häufiger und die seelischen und körperlichen Belastungen größer. Die innere Erregung wird sich in dieser völligen Abgeschiedenheit und Stille ständig gesteigert haben.
Als schließlich der Augenblick für die Begegnung mit den Toten gekommen war, betrat der Besucher mit den vorgeschriebenen Opfergaben, von einem Priester geleitet, den Ostgang. In einer der Opfergruben, die hier von den Ausgräbern mit verkohlten Tierknochen aufgedeckt wurden, opferte der Besucher nun ein Schaf. Darauf wurde er in das Labyrinth geleitet, einen mäanderförmigen Gang, der dem Besucher den Eindruck vermittelte, er irre die dunklen, verschlungenen Wege des Hades entlang. Das Labyrinth hatte drei Tore, ebenso viele wie die Unterwelt, mit Eisenbeschlägen und großen Eisennägeln, von denen eine Menge in den Ausgrabungen gefunden wurden.“ Im Mittelsaal wurde anscheinend das Gerstenmehl dargebracht, „am dritten und letzten Tor, …. warf der Besucher noch einen übelabwehrenden Stein und goß auf den Steinboden die Trankspenden für die Götter der Unterwelt, Aidoneus oder Hades und Persephone, die in dem unterirdischen Saal wohnten. Hatte der Besucher den Mittelsaal betreten, war er an seinem Ziel angelangt.
Auf dem Weg hierher rief der Priester, Lukian (Menippos 9ff) zufolge, ständig die Seelen der Toten, die nächtliche Hekate und die furchtbare Persephone‘ an und flicht in seine Beschwörungen fremde, bedeutungslose und vielsilbige Wörter ein. Der Mittelsaal war der Endpunkt des Weges, denn dies war der Ort, an dem die Geister der Toten erschienen und mit dem Menschen, der um ein Orakel bat, in Kontakt traten.
Allerdings war in hellenistischer Zeit (356 – 30 v.Chr.) rationales Denken weit verbreitet, und die Wissenschaften erfuhren einen starken Aufschwung. Der Glaube an den Mythos und die Religion war erschüttert. Sicher hielten viele die Erscheinung von Totengeistern für unmöglich. Lukian (Menippos 10f.) der im 2.Jh.n.Chr. lebte, verspottet dieses ganze Ritual: ´Und sogleich schwankte alles und die Erde barst vom Beschwörungsgesang (des Priesters) und von Ferne erscholl das Gebell des Kerberos, und alle Dinge waren ungeheuer trübe und düster, da schon das meiste zu sehen war, der See und der Pyriphlegethon und das Reich des Pluton´…“
DAS NEKYOMANTEION AM ACHERON – SORIRIOS DAKARIS (Professor emeritus der Universität Ioannina)

Nach diesem Ausflug in die Unterwelt und zur beeindruckenden Sumpflandschaft samt Jause im ländlichen Kafenion hält uns nichts mehr. Am nächsten Tag fahren wir ca. 450 km weiter, an Preveza vorbei, über die Brücke von Rion, auf die Peloponnes nach Palea Epidauros – unser Zuhause für die nächsten Monate!



 Ankunft in Epidauros 05.10.2019

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