Ich träume mich satt
An Geschichten
und Geheimnissen
Unendlicher Kreis aus Sternen
ich frage sie
nach Ursprung Sinn und Ziel
sie schweigen mich weg
Den Orten die ich besuche
gebe ich neue Namen
nach den Wundern
die sie mir offenbaren
Nichts bleibt wie es ist
es wandelt sich
und mich
Rose Ausländer
Noch hat die große Reise nicht begonnen, es braucht die Geduld der zur Neige gehenden Zeit.
Aber: 5 Tage und 4 Frauen am Lago Maggiore. Steil über dem See und doch so nahe, dass wir die leisen Bewegungen des Wassers sehen können, thronen wir in einem Haus, umgeben von einem wilden, üppigen Garten, im Flugkorridor von Schwalben und Fledermäusen. Ein Engel der Leichtigkeit wacht über uns und tanzt schattenspielend auf der Terrasse. Diese Tage sind ein Vorgebirge für die große Reise, die steil aufragenden Berge, die Brasilien heißen. Es ist, als ob sich Manches zu erkennen gibt und vorbereitet werden kann… .
Die fremde Sprache – es macht Mühe, ein paar Wortfetzen zusammen zu klauben. Beim unwirschen Künstler im nur fußläufig zu erreichenden Weiler Fontina hoch über dem See, stößt nicht einmal ein freundliches Kopfnicken auf ein Echo. Ich beschließe fortan in meiner Muttersprache, der Sprache meiner Begeisterung zu sprechen, ich werde verstanden werden -jenseits der Worte. Auf dem Rückweg rufe ich ein vernehmliches Hallo und winke fröhlich hinüber, tatsächlich er lächelt und winkt grüßend zurück.
Das fremde Klima – selbst die Nächte sind so warm, dass ich die Wolldecke von mir abstreife und mich lieber den Stechmücken aussetze, als einer schlafraubenden Überhitzung. Bei unserer schweißtreibenden Wanderung, die endlosen Stufen einer eingebetteten Himmelsleiter hinauf, erzählt Irmgard von ihren Erfahrungen in Asien. Die ständige Nässe, der salzige Film auf der Haut wurde ihr zur Erinnerung an das sie umhüllende Wasser im Mutterleib. So war dieser Zustand nicht mehr lästig, verbunden mit dem andauernden Reflex sich abtrocknen zu müssen, sondern wurde umgewandelt in ein Empfinden der ersten seligen Zeit des Einsseins
.
Die morgendliche Stille zwischen Feigenbaum, Bananenstaude, Lavendel, Rosenbüschen, wildem Wein und all den Pflanzen, die hier geschützt vor übereifrigen Gärtnerhänden auch ihr Dasein fristen dürfen, Brennesseln, Girsch, Kletten, Brombeerranken. Eine wunderbare Symbiose aus Ordnung und gewähren lassen hat sich hier entwickelt. Ich sitze gerne in dieser Zeit in der nichts gesagt werden muss, nichts gedacht werden will, auf der Steinstufe umgeben von der grünen Nachbarschaft, dazwischen das silberne Blitzen des sonnenbeschienenen Wassers. Alles in mir und um mich herum ist ein Gebet an die Schöpfung.
Auch dieses ist Schöpfung: die Fähigkeit Leben zu geben und Leben zu nehmen. Heute Nacht weckten mich die Laute eines dramatischen Todeskampfes; aufgewühltes Kreischen und Schnattern in höchster Not, es wird allmählich leiser, die Pausen werden länger, - schließlich erstirbt es. Es wäre naiv zu glauben, die Natur sei die gute Mutter die sich um uns sorgt und uns erhält. Im Grunde genommen ist es für die Natur unwichtig, was aus uns Einzelnen wird, es geht um das große Ganze. Gaia muss das Gleichgewicht halten, die Harmonie zwischen den Dingen bewahren. Sie begegnet uns auch in den Bildern der Mythen und Märchen, als weise Alte und zugleich als furchteinflößende, erbarmungslose Hexe, sie ist die Percht und die Baba Jaga, sie ist Demeter und Persephone, die Göttin der Fruchtbarkeit und der Unterwelt. Sie ist eine Hagsitzerin, eine Wanderin zwischen den Welten.
Spurensuche – man bekommt nicht immer, was man sich wünscht, doch was an seine Stelle tritt, kann äußerst spannend sein….
Wir machen uns auf den Weg zum Monte Verita, dem Zauberhügel, von dem Anfang des 20. Jahrhunderts eine Bewegung ausging, die die europäische Kultur verändern sollte und gegen die die wilden 68 ein braver Kindergarten waren. Fünf junge Leute machten sich damals auf den Weg über die Alpen, um nach anderen Lebensformen zu suchen. Schuhe und Korsette wurden abgelegt, die freie Liebe wurde gefeiert. Der Monte Verita wurde zu einem Zentrum neuer Bewegungen: Lebensreform, Pazifismus, Anarchismus, Theosophie, Anthroposophie, Psychoanalyse, östliche Weisheit, Ausdruckstanz.
Es braucht eine dreifache Umrundung, bis wir endlich die Auffahrt zum Monte Verita finden. Wir parken bei „Maria de Fontanella“, einer kleinen Mariengrotte mit zwei Brunnen. Die große Kirche nebenan ist abgeschlossen, doch unser Blick durchs Schlüsselloch fällt direkt auf eine Madonna mit ihrem Sohn, es kommt uns kindlich-weihnachtlich vor, wie wir so durch das Schlüsselloch in diesen unbetretbaren Raum spicken.
Danach machen wir uns auf den kurzen Fußweg auf den Monte Verita. Was uns hier erwartet verwirrt. Das alte Holzhäuschen war sicher noch aus der Gründerzeit der ersten Jahre, doch was soll dieses hässliche Wellblechdach, von dem wir ein kleines Stück erblicken - ein Parkhaus? Wir finden einen Teegarten und ein Teehaus. Ob sie damals schon Teezeremonien machten? Wir können es nicht glauben! Ein Hotel das aus den 70ern stammen könnte, nicht gerade schön, auf dem weitläufigen Gelände ein zur Freilichtbühne umfunktioniertes Schwimmbad. Das einzige Verbindende, die kleinen Schildchen mit den Menschenrechten, die am Wegesrand immer wieder auftauchen. Nichts scheint einen Bezug zueinander zu haben. Ganz zum Schluss, auf der Suche nach dem – nicht mehr vorhandenen Museum – enthüllt sich uns das Geheimnis des Wellblechdaches: Die Urzelle, das eigentliche Haus auf dem Monte Veritas steht, sich langsam auflösend, dem Zerfall preisgegeben, unter dem unsäglich hässlichen grauen Schutzdach. Wir sind uns einig, dass ein entschiedenes dem Zerfall preisgeben würdiger wäre, als dieses Dahindämmern, der schleichende Verfall.
Wenn die Zeit reif ist, blühen an den verschiedensten Orten Ideen auf, die über die Ferne miteinander kommunizieren und sich zu einer großen Entwicklung vereinigen. Dies gilt auch sicher für die spannende Epoche anfangs des 20. Jahrhunderts, in der der Expressionismus in Malerei und Musik auftauchte, Einblicke in neue Welten der Psyche getan wurden, in den Naturwissenschaften bahnbrechende Entdeckungen gemacht wurden. Eine Welle der Freiheit, wogte insbesondere durch intellektuelle Kreise. Es war eine aufregende Zeit, in der vieles nach Veränderung drängte, bevor es in der braunen, menschenverachtenden, machtmissbrauchenden, für Leib und Seele tödlichen Zeit wieder unterging.
Vielleicht kommt es gar nicht darauf an, einen Ort wie diesen, der eine besondere Entwicklung symbolisiert zu einem Wallfahrtsort zu stilisieren, viel mehr sollten wir darauf schauen, wie sich die Ideen dieser Zeit verpflanzt und fortentwickelt haben. Genauso wie wir unsere Kinder in diese Welt geben und ihnen die eigene Entwicklung und den eigenen Weg lassen, geschieht dies auch mit Visionen und Inspirationen.
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